In „unsicheren” Zeiten... Nr. 10 - Unser Grundgesetz - oder: Was bleibt...

Bild: privat

Liebe ehrenamtlich Engagierte im Dekanat Mergentheim,
liebe Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, liebe Kollegen und Kolleginnen,

die zehnte Ausgabe von „In ‚unsicheren’ Zeiten” ist ein guter Abschluss. Noch dazu hat sich inzwischen auch – bei allen Einschränkungen, die wohl noch eine ganze Weile anhalten werden – so etwas wie Normalität eingestellt …

Deshalb erhalten Sie heute die letzte Ausgabe von „In ‚unsicheren’ Zeiten”.

Wir hoffen, wir konnten Sie in den vergangenen Wochen gut begleiten. Ihre Rückmeldungen zumindest haben uns spüren lassen, dass dies für viele wohl so war. Für diese Rückmeldungen und Worte der Ermutigung an uns danken wir Ihnen. Auch Sie haben uns damit begleitet!

Wir wünschen ihnen für die kommenden Wochen weiterhin offene Ohren und offene Herzen – für die vielen Themen und Fragen, die uns alle beschäftigen werden …

Sie erhalten in den kommenden Tagen – das erste Mal komplett als gedruckte Ausgabe – das „AktuellNotiert” im Dekanat Mergentheim. Wir bleiben also weiterhin in Kontakt …

Dekanatsleitung und Dekanatsgeschäftsstelle
Dekanat Mergentheim

 

Unser Grundgesetz – oder: Was bleibt …

Diese Woche gibt es sie also zum letzten Mal – die Gedan-ken „In ‚unsicheren’ Zeiten”. Gedanken, die irgendwie ver-suchen, in diesen Ausnahmezeiten den Blick auf etwas zu lenken, das Bestand hat. Vielleicht immer schon Bestand hat, aber jetzt erst recht. Corona ist deswegen nicht abgehakt, das weiß jedes Kind. Das Eigentliche kommt noch. Die Folgen für unseren Geldbeutel. Vor allem die Folgen für unser Zusammenleben – nach dieser Erfahrung, die Anderen auf Abstand zu halten. Auch in der Kirche. Und dennoch versuchen die behördlichen Maßnahmen Schritt für Schritt wieder so etwas wie Normalität herzustellen.

Was bleibt? Was zählt? Was wird sich ändern, weil das „Weiter so wie bisher” nicht mehr geht?

Das Erscheinungsdatum der heutigen Letztausgabe liegt vor dem 23. Mai. War da was? Ach richtig: 71 Jahre Grundgesetz. Es hat geschlagene vier Jahre gebraucht ab Kriegsende (oder: nur vier Jahre?), bis 1949 so etwas wie eine deutsche Verfassung schwarz auf weiß auf dem Tisch gelegen ist. Gemeinsame Regeln, gemeinsames Recht. Für Unten und Oben, für Gute und Böse. Und das nach zwölf Jahren Unrecht, das sich vorher nie einer hätte vorstellen können auf deutschem Boden. Naziterror im Namen des Deutschen Volkes – mit Holocaust, Weltkrieg, Zerstörung, Flucht, Vertreibung, Heimatlosigkeit. Heimatlosigkeit gab es nicht nur für die Millionen aus dem Osten, sondern für die Millionen hier bei uns, die sich total neu sortieren mussten.

Was bleibt? Was zählt? Was wird sich ändern, weil das „Weiter so wie bisher” nicht mehr geht?

Ich ziehe den Hut vor dem, was die Menschen damals neu geschaffen haben. Auch mit Fehlern. Auch mit viel „unter den Teppich kehren” und verdrängen. Aber neu geschaffen und gewagt haben. Und das ohne „ihren Psychotherapeuten”, ohne Coaching.

Schon seit Jahren sage ich, was ich bei uns, gerade in Deutschland, vermisse: so etwas wie einen gemeinsamen Pioniergeist. Stattdessen sind wir auf weiter Strecke ein Volk von Jammerern geworden. Die Menschen im reichsten Land scheinen am ärmsten dran zu sein. Und da fährt uns Corona in die Parade. Auch uns! Keine Sorge: die Jammerer gibt es immer noch. (Eigentlich würde ich ja die aktuellen Demonstrantinnen und Demonstranten, die sich längst in einer Diktatur sehen, gerne fragen, ob irgendjemand von ihnen im Pflegeheim arbeitet oder im Krankenhaus? Da wäre Schweigen im Walde. Der menschliche Egoismus hängt sich doch die skurrilsten Mäntelchen um. Ja, die Jammerer gibt es immer noch.)

Aber: noch viel mehr tolle Menschen mit tollen Ideen und Gemeinschaftsaktionen. Für Bedürftige. Für Einsame und Traurige. Für die, die miteinander etwas schaffen wollen. Ja, miteinander beten wollen. Menschen mit Gottvertrauen. Und Menschen mit einem unerschütterlichen Glauben an das Menschli-che. An den Sieg des Menschlichen. Auch wenn der noch klein und unscheinbar ist. Aber wirksam!

Nochmal Szenenwechsel: Israel vor 2000 Jahren. Christi Himmelfahrt. Nach Jahren unterwegs mit Jesus, nach Tagen des Schreckens und der Verzweiflung rund um Karfreitag, nach Wochen der Verwirrung zwischen Zweifel und Auferstehungsfreude – zeigt sich der Auferstandene seinen Weggefährten ein letztes Mal. Dann verschwindet er ganz aus ihrem Blickfeld.

Geht heim zum Vater. Was bleibt? Was zählt? Was wird sich ändern, weil das „Weiter so wie bisher” nicht mehr geht?

Für mich wieder überraschend und tröstlich zugleich: Diese Szene spielt in jedem Evangelium woanders – mal in Galiläa, mal in Jerusalem, mal bei Bethanien. Auf gut Deutsch: Es geht da eben nicht einfach nur um Jesus und seine Beziehung zum Vater. Es geht um uns, seine Jüngerinnen und Jünger, die Kinder Gottes damals und heute. Dort, wo wir sind. Beruflich oder privat. Freiwillig oder gezwungenermaßen. Wo es uns gut geht oder schlecht. Du bist dran! Geh und bewege dich, ja bewege etwas. Es ist dein Weg, dein Leben. Es ist eure Welt, eure Zukunft, eure Chance. Gottes Leben will neu beginnen. Mit dir, mit uns. Das ist Jesu Grundgesetz (Offb 21,5).

Freilich: „einige hatten Zweifel” (Mt 28,17). Schon damals. Das bleibt. Es gibt viele Wege zum Ziel, wie es auch beim Vater im Himmel viele Wohnungen gibt. Aber eines hält uns zusammen: sein guter Geist, sein Atem, sein Segen: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.” (Mt 28,20). Habt Mut, ihr seid Kinder Gottes …


Ulrich Skobowsky, Dekan
Dekanat Mergentheim

 

Was kann ich tun?

Das Grundgesetz meditieren? Das vielleicht gerade nicht. Trotzdem lohnt sich ein Blick auf jenen Text, der am Samstag 71 Jahre alt wird. Sie finden ihn etwa hier. Sie können sich beispielsweise bei Artikel 1–5 fragen: Was bedeuten diese Aussagen für mich und für meinen Umgang mit anderen? Wie schätze ich es, mit diesen zugesicherten Rechten zu leben?

Die Bibelstelle Mt 28,16–28 finden Sie u.a. auch hier. Sie können überlegen: Was bedeute für mich die Zusage „Ich bin mit euch alle Tage”?

Wenn sich Jesus in der „Himmelfahrt” seinen Jüngerinnen und Jüngern „entzieht“ zeigt er damit seine „Unverfügbarkeit”. Von Verfügbarkeitslogik und Resonanz spricht der Soziologe Hartmut Rosa in einem aktuellen Interview zur Coronakrise. Sie finden dieses online zum Nachlesen und Nachhören beim Deutschlandfunk.