Die zwei Seiten der Medaille „Mensch”

Finanzmärkte und Moral - Der Theologe und Wirtschaftsethiker Michael Schramm mit spannendem Vortrag in der Sparkassen-Kundenhalle

Prof. Dr. Michael Schramm ist in Hohenheim Lehrstuhlinhaber für die Bereiche Wirtschaftsethik und Systematische Theologie. (Foto: Michael Weber-Schwarz)

Wirtschaft, Finanzen, Moral – spannende Themen und Spannungsfelder zugleich. Der Lehrstuhlinhaber für Theologie und Wirtschaftsethik, Michael Schramm, präsentierte sein Thema unterhaltsam.

In der Kundenhalle der Sparkasse Tauberfranken in Bad Mergentheim läuft aktuell die Ausstellung „Weltreligionen – Weltfrieden – Weltethos”, die auf der „Weltethos-Idee” des Schweizer Theologen Hans Küng basiert.
Einen vertiefenden Vortrag zur „Weltethos-Idee” hielt am Donnerstag Prof. Dr. Michael Schramm, Wirtschaftsethiker und katholischer Theologe an der Universität Hohenheim. Er machte deutlich, dass auch globale Wirtschaft einen ethischen Rahmen benötigt – zumindest wäre er wünschenswert.
Raubtierkapitalismus, Heuschrecken – seit Finanzblase und Bankencrash um 2008 haben viele Menschen das Vertrauen in Finanzmanager und Geldinstitute verloren. Dass dort Ethik eine Rolle spielt, zieht man eher in Zweifel. Marco Schneider, Bereichsleiter Privatkunden Süd, weiß das und geht kritisch mit dem Finanzgebaren der Großbanken ins Gericht. Eine „Weiter-so-Mentalität“ dürfe es nach 2008 nicht geben – die regionalen Banken finanzierten vor allem „Reales”; Spekulation sei nicht ihr Ding. Dennoch müssten auch sie immer wieder den Blick auf die Richtschnur des Menschlichen richten.

Einseitigkeit ist „krank”
„Die Unausweichlichkeit der Ethik in der Wirtschaft“ lautete der etwas sperrige aber treffende Titel des Vortrags von Michael Schramm. Es gehe um zwei Seiten einer Medaille, die letztlich „Mensch“ heißt.
Die Welt ist bunt: Auch in der Wirtschaft gibt es nicht nur die ökonomische Dimension und ökonomische Werte, sondern auch die ethische Dimension, ethische Werte.
„Jeder liebt Geld – auch ich, aber neben Geld gibt es noch andere Werte”, lässt Schramm per Videoeinspieler den Dalai Lama sagen. Pointiert will Schramm damit ausdrücken, dass das einseitige „Hängen“ an nur einen einzigen Werttypus pathologisch und krank ist – denn immer sind auch die „other values” wichtig. Es gehe um die Balance.
Ein Blick auf den VW-Abgasskandal: Trotz Tricks und aktiver Softwaremanipulation behauptete VW zunächst, es handle sich nur um einen „unbeabsichtigten Softwarefehler“. Erst nach dem technischen Nachweis gab VW den Betrug zu. „Da wurde also gelogen und die Kunden betrogen”, doch die einseitig wirtschaftlichen, finanziellen Gründe für den Betrug wurden durch die Aufdeckung der Manipulationen von der Moral quasi eingeholt. Vorstandschef Martin Winterkorn trat vor die Presse, entschuldigte sich und trat schließlich zurück. Betriebswirtschaft hier, Ethik da – wenn es „kracht”, dann „ist neues Vertrauen nur sehr schwer wieder herzustellen”, so Schramm. Was hilft? „Nur jahrelange Ehrlichkeit.”
(Markt)wirtschaft und Ethik, zwei Seiten einer Medaille: Auf der einen Seite sind es betriebswirtschaftliche Gründe, die im Wettbewerbsdruck Anreize zu solchen Manipulationen liefern. Auf der anderen Seite sind diese Manipulationen nichts als Lügen – und damit sind sie ethisch gesehen mindestens unfair, hält der Professor fest.
Grundsätzlich sei die Marktwirtschaft und der Wettbewerb ja durchaus – auch wirtschaftsethisch – zu begrüßen, denn sie führt zu einem „Entdeckungsverfahren”, zur Entwicklung und Innovation. Doch unter dem wirtschaftlichen Konkurrenzdruck entsteht oft ein Dilemma, ein möglicherweise „ruinöser Wettbewerb” von Konkurrenten. Moralische Ziele (etwa der Umweltschutz) können Unternehmen in Bedrängnis führen.
Schramm wartete mit einem weiteren griffigen Beispiel auf: Im Jahr 1997 kam es zwischen der Kette „Pizza Hut” und dem renommierten und „ehrlichen” Tomatensoßenhersteller Hunt Wesson zu Verhandlungen über die zukünftige Lieferantenstruktur.Aus Gründen der Kostenoptimierung „kickte” Pizza Hut den vergleichsweise teueren Zulieferer Hunt und verwendetet Billigsoße. Hunt hatte sich geweigert, seine Qualitäts- und Ökostandards zu senken und billiger zu produzieren. Schnell kam die Katastrophe: Die Billigsoßen weichten die Pizzaböden auf, die Kunden meckerten. Pizza Hut klopfte bei Hunt an – die Verhandlungsmacht kehrte sich um. Doch das Unternehmen blieb ethisch und fair und verlangte nur den Preis der ersten Verhandlungsrunde.
Dieses „Happy End” konnte Hunt aber nicht voraussehen. „Kontingenz” nennt man das in der Philosophie: die Ungewissheit der ökonomischen Effekte von Moral – oder Unmoral. Andersherum: Ob sich Moral rechnet oder ob sie kostet, bleibt in vielen Situationen schlicht ungewiss. „Der Ehrliche ist der Dumme” weiß der Volksmund ebenso, wie „Ehrlich währt am längsten”.
Ein Blick auf die Statistik scheint aber positive Effekte von Moral zu belegen: Unternehmensethische Kodizes, also moralisch relevante und unternehmensweit verbindliche Normen (so eine Studie von Till Talaulicar von 2006), können unterm Strich zu höherer Wirtschaftlichkeit führen.
„Moral kann sich rechnen, kann ein Erfolgsfaktor sein, aber Moral kann (auch) ganz schön hinderlich sein, Moral kann auch manchmal etwas kosten. Unternehmensführung zeigt sich darin, dass es einem tatsächlich gelingt, diese beiden Ziele –moralische Ansprüche und wirtschaftlichen Erfolg – miteinander zu verbinden”, lässt Schramm den Wirtschaftsethiker Josef Wieland sagen. Entscheidend ist dann aber, ob man diese moralökonomische Verbindung nun will oder nicht.
Theologie oder Religion haben als solche keine Kompetenz in Sachen Wirtschaft, hält Schramm ebenfalls fest. Doch „wenn nun Wirtschaftsakteure einer selbstherrlichen und uns alle teuer zu stehen kommenden Ersatz-Theologie erliegen, dann kann die Theologie dieses kritisieren.” Sich gottgleich fühlende Finanzmanager lehnt Michael Schramm offensiv ab: „Nichts auf Erden hat göttlichen Status.” Regelmäßig komme es dem Menschen „teuer zu stehen”, wenn er dem Mammon als Ersatzreligion verfällt.

Finanzsektor demokratisieren
„Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat”, zitierte Schramm aus dem Buch Markus. Sabbat könne dabei auch für Wirtschaft und Finanzmärkte stehen – und „Menschen” für „alle Menschen”.
Der Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften Robert Shiller betone „die Notwendigkeit, den Finanzsektor dadurch zu demokratisieren, dass man dafür sorgt, dass die Finanzmärkte für alle Menschenarbeiten”. Es gehe nicht um die Märkte als Selbstzweck (um „Geld zu machen”), sondern darum „Aktivitäten zu finanzieren” und „Dinge möglich zu machen”. Die moralische Zielsetzung liege „im Dienst am Kunden.”

Michael Weber-Schwarz,  Fränkische Nachrichten, 10.03.2018, www.fnweb.de