28.04.16

Magische Momente in mystischer Kapelle

Heimattage in Bad Mergentheim: Stadtführerserie „Hier bin ich besonders gern“ (Teil 5) / Heute mit Lore Groth-Faninger in der ehemaligen Sakristei der Marienkirche

Da gingen ihr die Augen auf, als Lore Groth-Faninger zum ersten Mal die ehemalige Sakristei der Marienkirche mit den über 700 Jahre alten Wandmalereien betrat. Ein magisches Gefühl, das heute noch anhält. (Foto: Joachim W. Ilg)

Bad Mergentheim. Ist das nicht erstaunlich? Da interessiert sie sich schon seit Jahrzehnten für Historie und Kunstgeschichte, hat viele Orte und Kirchen in Europa gesehen, ist ausgebildete Kirchenführerin, und dann kommt sie nach Bad Mergentheim, besucht die Marienkirche und entdeckt dort die ehemalige Sakristei, die ursprünglich eine Kapelle war.

Und als sie das erste Mal diesen kapellenartigen Raum in Augenschein nimmt, hat sie das Gefühl, als würde sie eine ägyptische Grabkammer betreten. Sie ist fasziniert von den Bildern, die rundherum auf sie einströmen, und sie erlebt diese Begegnung mit der Vergangenheit fast wie einen magischen Moment. Kein Wunder, dass dieser heutige Nebenraum der Marienkirche zum Lieblingsort von Lore Groth-Faninger geworden ist.

Seit 1999 lebt Groth-Faninger, die in Kirchheim/Teck geboren wurde, in Bad Mergentheim und ist als selbstständige Psychologische Beraterin tätig. Sie ist 63 Jahre alt und von Beruf aus neugierig. Und wer neugierig ist, interessiert sich vielleicht auch für die Stadt, in der man lebt, und für deren Geschichte, die hier besonders interessant sei, denn „durch den Deutschen Orden ist hier manches anders gelaufen als in Württemberg oder sonst wo im Alten Reich”, hat sie herausgefunden und ist auch in Mergentheim, wie schon davor in Nürtingen, als Gästeführerin tätig.

Über 700 Jahre alt
Dass sie natürlich besonders gern die ehemalige Sakristei der Marienkirche zeigt, hat mit dem magischen Moment vor Jahren, als sie in den Bann der über 700 Jahre alten Fresken geriet, zu tun.

„Sie wurden zwischen 1300 und 1310 gemalt, ganz genau weiß man es nicht. Aber man kennt den Namen des Malers, und das ist für diese Zeit die absolute Ausnahme. Es ist Pater Rudolphus aus Wimpfen, und der ist 1310 gestorben”, erklärt sie und verweist auf die Gäste bei ihren Führungen, die über das Alter der Malereien staunen und große Augen machen angesichts der eleganten Ausführung der auf die Wände gebannten Gestalten: Ein Engel reicht Maria mit dem Kinde eine Krone; Christus wird gegeißelt; Reste eines Glorienscheins und Magdalena mit dem Salbgefäß, um nur einige der Motive zu erwähnen.

Es war 1948, als der Restaurator Willy Eckert eine, man darf ruhig sagen, sensationelle Entdeckung machte, die eigentlich dem damaligen Mesner Anton Eichhorn zu verdanken ist. Der hatte in der Sakristei unter abfallenden Verputzstücken Farbspuren entdeckt, die auf eine figürliche Abbildung schließen ließen. Der Mesner war sich sicher, da muss was sein, und machte den Restaurator darauf aufmerksam. Der untersuchte die teilweise schon mit dem Taschenmesser freigeschabten Stellen und siehe da: Bei der dann fachmännisch durchgeführten Freilegung kamen wertvolle Fresken zum Vorschein, ein "wahres Bilderbuch der Dominikanermystik", wie der Historiker Carlheinz Gräter einmal schrieb.

Lore Groth-Faninger hat das Gefühl, dass die Mergentheimer diesen kunsthistorischen Schatz nicht so recht zu schätzen wissen. Das mag auch daran liegen, dass die ehemalige Kapelle, die noch vor der Marienkirche gebaut wurde, nicht so leicht zugänglich war und ist. Schaulustige (im positiven Sinne des Wortes) können sie heute in aller Regel nur durch ein Gitter betrachten.
Wein statt Wasser

Wer die Welt bereist hat, findet der in Bad Mergentheim einen Anker? Hat Groth-Faninger hier einen Anker gefunden? „Ich fühle mich sehr wohl hier. Die Landschaft hat eine freundliche und beruhigende Wirkung - nicht umsonst ist Mergentheim eingebettet ins Liebliche Taubertal”.

Und ist Bad Mergentheim so etwas wie Heimat für Sie? „Ja. Hier kann man entschleunigen und sich niederlassen. Es gibt viele nette Menschen und gute Freizeitangebote.”

Und was erwartet die Gästeführerin von den Heimattagen in Bad Mergentheim? Sie hofft und wünscht, „dass wir viele Gäste begrüßen können, dass wir vermitteln können, wie schön unsere Stadt und die Landschaft ist und welch reiche Geschichte wir haben”, und dass es hier viel zu genießen gibt.

Ihre Stadtführungen beendet Groth-Faninger meist mit zwei Standard-Sätzen: „Wer müd vom Leben oder krank, dem kann man helfen Gott sei Dank, wenn er sich kann vergunnen den Mergentheimer Brunnen.”

Und jetzt kommt natürlich noch die Schlusspointe: „Die beste Kur von Mergentheim, das ist der Wein aus Markelsheim.”

Joachim W. Ilg, Fränkische Nachrichten, 28.04.2016, www.fnweb.de