„Vollendung 1000-jähriger Marienbild-Entwicklung”

500 Jahre Stuppacher Madonna: Interessanter Vortrag von Diözesankonservater i.R. Professor Wolfgang Urban

Für Professor Urban, Diözesankonservator im Ruhestand, ist Grünewalds Stuppacher Madonna ein unvergleichliches Werk von enormer theologischer Tiefe. (Foto: Inge Braune)

Wolfgang Urban ist ein Begeisterter: Für den Professor, Diakon und Diözesankonservator im Ruhestand ist Grünewalds Stuppacher Madonna „eine der größten Malereien, die je entstanden ist”. Grünewalds Stuppacher - eigentlich Aschaffenburger, denn entstanden ist das Werk vor 500 Jahren als Mittelbild des dortigen Maria-Schnee-Altars - Madonna inspirierte und begeisterte zahllose Künstler. Nahezu unbemerkt führte das Werk große Kunstkenner in die kleine Mergentheimer Ortschaft, die seit 1812 Heimat des seinerzeit Rubens zugeschriebenen Altarbildes ist.

So besuchte in den 1970er-Jahren Sir John Wyndham Pope-Hennessy, einer der bedeutendsten Renaissancekunst-Kenner, Stuppach und schwärmte noch in seinen Erinnerungen über diese Kunsterfahrung „von Offenbarungscharakter”.

Pope-Hennessys Wahrnehmung bestätigte sich beim „Madonnengipfel” in Dresden 2011/2012: Selbst zwischen Raffaels Madonnen und neben Dürer habe die Stuppacher Madonna sofort den Blick und die Aufmerksamkeit auf sich gezogen, berichtete Urban den gut 80 Besuchern, die sich am vergangenen Freitag zu seinem von der katholischen Erwachsenenbildung organisierten Vortrag im Gemeindehaus Stuppach eingefunden hatten.

Die Grünewald-Madonna stelle die „Vollendung einer über tausendjährigen Entwicklung des Marienbildes” dar und erwies sich bei der Dresdener Ausstellung als das „theologisch tiefste” der drei zentralen Madonnendarstellungen der Ausstellung „Himmlischer Glanz. Raffael, Dürer und Grünewald malen die Madonna”, so Urban.

Für die damaligen Maler - ob Raffael, Cranach d.Ä. oder andere - habe bei ihren Mariendarstellungen immer die theologische Dimension den innersten Beweggrund ihrer Arbeit dargestellt, was die Kunstgeschichte nach Einschätzung Urbans oft in zu geringem Maß würdigt.

Schlicht „unvergleichlich” sei das Bild, und „es ist in sich etwas Wunderbares, dass Stuppach diese Madonna besitzt”. Zum „in sich Wunderbaren” gehört auch, dass die Stuppacher „ihre” Madonna von Anfang an so liebten, dass sie sich sogar mit Mistgabeln verteidigend vor das Bildnis stellten; dass das Bildnis eben nicht einfach Museumsbestand ist, sondern dass Beter immer wieder die religiöse Dimension bestätigen; und auch, dass Balthasar Blumhofer, 1812 Pfarrer der kleinen Deutschordenspfarrei Stuppach das Bild erwarb und so wohl rettete. Schließlich hatte keiner der hochkarätigen Königlich-Württembergischen Beamten, die nach der Ordensauflösung Preziosen aus dem Deutschordensbestand für ihren König beanspruchten, den eigentlichen Wert des Gemäldes erkannt.

Nach Urban orientiert sich Grünewalds Kunst an den Visionen der hl. Birgitta von Schweden. Ganz und gar einig geht er mit Joris-Karl Huysmans in „Là-bas” - „Tief unten” - erschienener wohl ersten Beschreibung eines Grünewald-Werks, in dem der französische Autor den grandiosen Maler als „besessensten der Naturalisten und der Idealisten” kennzeichnet, als einen „Barbar des Genies ohne Vorbild, ohne Lehrmeister”. Huysmans Einschätzung teilten Expressionisten wie Marck, Beckmann und Kirchner, die Grünewald als Kronzeugen für ihr Kunstauffassung, dass Malerei erschüttern und ergreifen müsse, benannten.

Der hochgebildete und weit gereiste künstlerische „Tausendsassa” Grünewald, der unter anderem auch als Baumeister und Wasserkunstgestalter in den Diensten höchster Persönlichkeiten stand, hinterließ neben zahlreichen Werken eine große Bibliothek, in der sich auch Luthers Bibelübersetzung und eine gebundene Sammlung reformatorischer Flugschriften fand.

Möglicherweise, so mutmaßt Urban, der sich über Jahrzehnte immer wieder mit Grünewald und der Stuppacher Madonna auseinandersetzte, hinterließ der Maler in einigen Bildern teilweise verfremdete Selbstportraits - und gemalte Zeugen auch von Reisen über die Alpen. Wo sonst habe er Ölbaum und Feige, die der exakte Naturbeobachter in höchster Präzision und allen Entwicklungsstufen abbildete, so detailliert kennenlernen können? Die Bildsymbolik der Stuppacher Madonna - Maiglöckchen: Lilie der Täler; Pfingstrose: Rose ohne Dornen; Erdbeere mit Frucht und Blüte: Symbol für Jungfräulichkeit und Mütterlichkeit - umfasse die gesamte Theologie, ein mit liturgischem Wissen geradezu vollgesogenes christologisches, marianisches und zugleich ekklesiologisches Bild, in dem Maria als Urbild der Kirche Darstellung finde.

Mit zahlreichen Detailaufnahmen, die zugleich die faszinierende Kunst des Malers vor Augen führten, sowie mit einer Vielzahl perfekt gewählter Bibelzitate, belegte Urban seine Analyse: Ist es ein Granatapfel oder eine Feige, die Maria in der Hand hält? Wird die Frucht dem Kind gereicht oder umgekehrt vom Kind der Mutter? Urban: „Man muss das theologisch durchdenken!” Sein Schluss ist klar: einem Granatapfel fehle das Krünchen - undenkbar bei einem derart präzisen Maler - und da die Feige als Frucht vom Baum des Lebens gilt, folgert er auch, dass es das stehende Kind ist, das der Muter die Frucht reicht, die sie entsprechend ehrfürchtig entgegen nimmt.

Von Urbans Begeisterung ließen sich die gut 80 Besucher, darunter auch Oberbürgermeister Udo Glatthaar, anstecken. Eine Gesprächsreihe zu den vielen im Rahmen des gut anderthalbstündigen mitreißenden Vortrags angerissenen Themen wünscht sich der OB - auch jenseits des 500-Jahr-Madonnen-Jubiläums und jenseits der in diesem Jahr von Bad Mergentheim ausgerichteten baden-württembergischen Heimattage.

Inge Braune, Fränkische Nachrichten, 24.10.2016, www.fnweb.de