„Ihr habt mich aufgenommen”
Das Engagement der katholischen Kirchengemeinde Weikersheim in der Flüchtlingsarbeit
Seit September 2015 leben in der Gemeinschaftsunterkunft in der Schillerstraße in Weikersheim rund sechzig Flüchtlinge. Im Vorfeld hatte auch die katholische Kirchengemeinde Weikersheim als Unterbringung das Gelände ihrer Martinushütte mit ins Spiel gebracht. Den Ausschlag für das Camp am Bahndamm hat die gute Anbindung an den Bahnhof sowie die Nähe zu den Schulen, zum Hallenbad, zu Einkaufsmöglichkeiten und zu den Gemeindehäusern der beiden Kirchengemeinden gegeben.
Erste Kontakte und Verständigung
Bis zum letzten Augenblick war es spannend, wann die Flüchtlinge wirklich kommen würden, was sie als erstes brauchen würden, aber auch, wie man negative Dinge möglichst von ihnen fern halten könnte und ob das auch gelingen würde. Deshalb hat das Lenkungsteam des Helferkreises von Anfang an darauf Wert gelegt, die Vorbereitungen zunächst einmal in aller Stille anzugehen.
Anfangs hatten beide Kirchengemeinden auch die Absicht, mit Fahnen oder Bannern auf die Willkommenskultur hinzuweisen. Zur Ausführung kam dies nur auf der katholischen Seite. Dafür hat die evangelische Kirchengemeinde sehr schnell auf die notwendigsten Kleiderfragen und mit dem Sammeln von Schuhen reagiert. Aber zugleich wurde sehr schnell klar, dass die Flüchtlinge durchaus ihren eigenen Stil haben und möglichst schnell versuchen, sich auch eigene neue Kleidungsstücke zuzulegen. Bei verschiedenen Gelegenheiten – wie beim Essen des Eine-Welt-Laden-Teams im katholischen Gemeindehaus -- entstanden recht schnell Kontakte und auch manche fast schon patenhafte Beziehung und manche Liebesbeziehung.
Schnell war aber auch zu spüren, dass manche Flüchtlinge sich mit Kontaktaufnahme sehr schwer tun – abgesehen natürlich von der sprachlichen Barriere. Eine Besonderheit war sicher in Weikersheim, dass es sich dort ausschließlich um männliche Flüchtlinge handelte und auch keine minderjährigen Flüchtlinge dabei waren. Dies ist auch so geblieben, als weitere Flüchtlinge nachkamen. Inzwischen hat ihre Zahl aber deutlich abgenommen und es gibt auch Leerstände.
Ein ganz besonderes Engagement war von Anfang an bei den ehrenamtlichen Deutschlehrerinnen vorhanden. Bevor von amtlicher Seite überhaupt Deutschkurse angeboten wurden, haben sie schon sehr aktiv Kenntnisse in der deutschen Sprache vermittelt.
Für die Koordination vor Ort ist das Lenkungsteam des Helferkreises Weikersheim entscheidend. Das Lenkungsteam besteht aus Vertretern der Kirchen, der Stadtverwaltung, dem Roten Kreuz und Bürgern, die sehr viel Freizeit zur Verfügung stellen, den Kontakt vor Ort halten und versuchen, alle möglichen und unmöglichen Dinge voranzubringen. Vertreten sind dort auch die Landfrauen und einzelne Mitglieder des Stadtrates. Dieses Lenkungsteam hat sehr schnell ein Spendenkonto eingerichtet.
Aufgrund der eingehenden Spenden konnte jeden Tag für Stunden ein arabisch sprechender Dolmetscher in die Verständigung einbezogen werden. Die meisten Dinge wären ohne diesen Dolmetscher gar nicht möglich geworden. Weder das Landratsamt noch irgendeine kirchliche Stelle hat bisher in diesem ganzen Jahr von sich aus einen Dolmetscher zur Verfügung stellen können. Viele täglichen Dinge – wie die Vermittlung von Praktikas, Arzt- oder Ämterbesuche – wären ohne die Hilfe dieses Dolmetschers nicht möglich gewesen, aber vor allem die tägliche Arbeit des Vertreters des Landratsamts im Camp wurde dadurch wesentlich unterstützt.
Schwierig ist immer noch, dass die Flüchtlinge gern sofort arbeiten würden, aber nicht dürfen. Dass sie gerne auch ihren Angehörigen zu Hause mit Geld helfen würden, ist eigentlich ganz selbstverständlich. Bei den Praktikas erfahren sie immer wieder, wie gern Firmen sie eigentlich weiter beschäftigen würden, dies aber nicht dürfen.
Kommunikation in die Heimat durch offene Türen ermöglichen
Das Lenkungsteam des Helferkreises hat sehr schnell die Notwendigkeit erkannt, für die Flüchtlinge mit ihren Handys Kontaktmöglichkeiten in ihre Heimat und zu ihren Angehörigen zu ermöglichen. Es gibt von der Stadt Weikersheim einen offenen WLAN-Zugang auf dem Marktplatz, weitere Möglichkeiten sind auch die öffentliche Bücherei und der so genannte UHU-Treff. Die Einrichtung eines WLAN-Zugangs im Flüchtlings-Camp hätte für den Helferkreis einen Antrag auf Neuanschluss und alle damit verbundenen Kosten bedeutet. Deshalb wurde ganz schnell im katholischen Gemeindehaus über rothenburg.freifunk.net ein öffentlicher WLAN-Hotspot installiert, so dass dort im und um das Gemeindehaus seither immer auch telefonierende oder im Internet surfende Flüchtlinge zu finden sind. Dort kann man auch am besten sehen, wie wichtig dieser Kontakt tatsächlich ist, um einerseits neueste Nachrichten aus ihrem jeweiligen Heimatland zu erhalten, um andererseits aber auch den Kontakt untereinander und mit Landsleuten, die sich schon länger in Deutschland befinden, aufrecht zu erhalten.
Viele der Flüchtlinge wissen noch nicht, wie ihre Zukunft aussehen wird. Der Familiennachzug ist im Augenblick völlig zum Stillstand gekommen. Außer in wenigen Glücksfällen lässt sich da auch gerade nicht helfen. Vier Flüchtlinge sind schon in ihre Heimat zurückgekehrt – meist aus familiären Gründen.
Immer wieder zu unguter Stimmung in unseren Flüchtlingsunterkünften führt der Umstand, dass die amtlichen Stellen sehr unregelmäßig Anerkennungen und damit Arbeitsgenehmigungen erteilen. Dazu bekommen die Flüchtlinge Vorladungen oder Einladungen nach Karlsruhe oder Heidelberg, um die dafür entscheidenden Gespräche führen zu können. Deshalb werden zu einem vereinbarten Termin ganze Busse in Bewegung gesetzt. Es kommt leider oft vor, dass Flüchtlinge ohne das terminierte Gespräch zurückgekehrt sind. Für die Flüchtlinge ist es auch oft völlig unverständlich, warum der eine so schnell einen solchen Termin oder eine Genehmigung bekommt, der andere aber nicht.
Das katholische Gemeindehaus dient nicht nur als „WLAN- oder Telefonzentrale“, sondern es steht seit Oktober 2015 auch Tag und Nacht offen für die Flüchtlinge zum Billard-, Tischtennis-, Dart- oder Tischfußballspielen. Viele Deutschunterrichts-Stunden haben dort stattgefunden. Auch die VHS wird dafür das katholische Gemeindehaus demnächst wieder in Beschlag nehmen.
Einander Kennenlernen und weitere Perspektiven des Helferkreises
Auch hat die katholische Kirchengemeinde gemeinsam mit den Flüchtlingen vier Mal zu einem großen gemeinsamen Essen mit Helfern und ehrenamtlichen Deutschlehrern eingeladen, bei denen die Flüchtlinge eingekauft und gekocht haben. Zum Speiseplan gehören dabei regelmäßig ein oder zwei Schafe. Das erste große Essen fand noch im Oktober 2015, das zweite an Silvester 2015 statt. Beim dritten Essen wurde das Ende des Ramadan gefeiert und jetzt beim vierten Essen das Opferfest gefeiert. So gelingt es auch, Einblicke in die Kultur des jeweils anderen zu erhalten.
Die Flüchtlinge in Weikersheim sind fast ausschließlich Moslems. Die Christen, die dabei waren, gaben sich nicht besonders zu erkennen. Aber auch einige Jesiden waren von Anfang an dabei. Da kaum einer des Englischen mächtig war, waren die Sprachprobleme bisher auch eine große Hürde für jene Flüchtlinge, die sich für das Christentum interessieren. Hier wäre es natürlich vor allem zuerst wichtig, die Motive für dieses Interesse zu klären. Es hat sich bisher bewährt, hier äußerst vorsichtig und zurückhaltend vorzugehen, damit nicht auch Gefahren für die Flüchtlinge entstehen, wenn sie vielleicht doch in ihr Heimatland zurückgehen wollen.
Insgesamt hat sich inzwischen schon viel wieder verändert. Einige Flüchtlinge haben Weikersheim verlassen oder konnten sich schon eine eigene Wohnung nehmen. Manche wollen studieren oder schnellstmöglich arbeiten und Geld verdienen. Sie sind deshalb oft auch nicht kurzfristig zufriedenzustellen. Weitere Flüchtlinge bleiben im Augenblick aus, da im Moment ja keine Flüchtlinge mehr nachkommen können. Auch der Familiennachzug ist fast vollständig zum Erliegen gekommen.
Trotzdem ist die Arbeit des Helferkreises bisher nicht weniger geworden. Im Oktober wollen das Lenkungsteam und der Helferkreis versuchen, sich neu zu strukturieren und Aufgaben neu zu verteilen. Dabei soll auch die Pressearbeit neu belebt werden. Dies wäre vielleicht auch ein Anknüpfungspunkt, um neue Nachrichten in Sachen Flüchtlingsarbeit in Weikersheim an interessierte Stellen und interessierte Menschen weiterzugeben.
Das bisherige Fazit des Lenkungsteams für das erste Jahr in der Flüchtlingsarbeit ist durchaus positiv. Man ist stolz darauf, Gastfreundschaft und Willkommenskultur auf vielfältige Art und Weise und immer wieder neu praktiziert zu haben. Man kann auch sagen, dass viel gelungen ist und sich die Flüchtlinge in Weikersheim wohlfühlen und sich auch mit dem Ort vielfach schon identifizieren. Dazu haben auch ganz viele Helfer beigetragen, die ganz selbstverständlich bei Disco-, Zoo- oder sonstigen Besuchen immer auch überlegt haben, ob sie jemanden mitnehmen können – und das oft auch tun.
Probleme und bürokratische Schwierigkeiten
Aufnahme und Registrierungsverfahren in Deutschland haben Auswirkungen auf spätere Dinge wie z.B. die Rückkehr in die Heimat: Mehrfach hat bei Flüchtlingen das Einziehen der Pässe an der Grenze zu sehr unglücklichen Situationen geführt. Es ist auch absolut nicht vorstellbar, was sich Behörden davon versprechen, wenn sie den Flüchtlingen ihre Pässe abnehmen, ihnen nicht einmal einen Begleitbogen mitgeben, sondern nur mit einer Abfotografie eines solchen auf dem Handy in Deutschland „verschicken“. Ein Flüchtling musste sieben Monate warten, bis die deutschen Behörden seinen Ausweis wiederfanden und er in seine Heimat zurückkehren konnte. Eigentlich wollte er das vom ersten Tag seiner Ankunft in Weikersheim an. Ein anderer Flüchtling wurde von seiner Erstaufnahmestelle nach Weikersheim verschickt, seine Akte war aber wohl nur teilweise erhalten. Als er die Erstaufnahme verlassen hatte, wurde er zur Fahndung ausgeschrieben und erst nach acht Monaten hat sich die Erstaufnahme auf eine Rückfrage hin erinnert, dass sie diesen Flüchtling selbst nach Weikersheim geschickt hatte. In diesen acht Monaten hat dieser Flüchtling keine weitere Hilfe erfahren.
Als sehr nachteilig hat sich auch das Vorgehen im Rahmen der Aufnahmeverfahren herausgestellt. Hier scheint es oft so, dass die Flüchtlinge ständig auf irgendwelchen Ämtern erscheinen müssen, anstatt dass die Ämter zu ihnen kommen. Sinnlose teure „Truppentransporte“ oft mit frustrierendem Ergebnis waren die regelmäßige Folge.
Wenn die Informationen stimmen, dann haben die Niederlande hier jetzt einen sehr sinnvollen Weg eingeschlagen. Flüchtlinge können dort sofort nach der Ankunft – soweit möglich – in Arbeit gehen. Ihnen ist damit die Chance geben, Geld zu verdienen, mit dem sie ihren Angehörigen in der Heimat helfen können. Sie können so selber etwas tun, was ihnen und ihren Angehörigen weiterhilft: arbeiten und Geld verdienen. Begleitend gehört in den Niederlanden auch ein fachgebundener Sprachunterricht an der Arbeitsstelle dazu.
Ein solches Vorgehen, das Arbeit und Spracherwerb koppelt, würde auch viele Probleme lösen. Die Integration der Flüchtlinge würde, meiner Meinung nach, erleichtert. Alles andere kann man einem Flüchtling nur schwer vermitteln. Und wie man sieht: Auch der Bevölkerung lässt sich das zu Recht schwer vermitteln, wenn Integration nur langsam und gleichsam „stufenweise“ geschieht.
Die Wichtigkeit von Paten
Die Aufnahme am Ort ist dort am besten gelungen und die Flüchtlinge kamen in allen Dingen am schnellsten weiter, wenn sich konkrete Paten zur Verfügung stellten. Einige Flüchtlinge haben sofort jemanden gefunden, der sich ihrer persönlich angenommen hat. Diese Paten haben die Flüchtlinge teilweise sogar in die Familie integriert und auf Behördengängen, bei Arztbesuchen, sowie bei der Arbeits- und Wohnungssuche begleitet. Die durch Paten begleiteten Flüchtlinge sind am schnellsten mit ihren Verfahren und auch mit dem Einstieg in die Arbeit vorangekommen.
Dieses Patensystem ist wärmstens für alle weiteren Aufnahmen von Flüchtlingen zu empfehlen. Gerade auch, wenn man sich die Situation als Flüchtling vorstellt und vor Augen hat, was diese alles durchgemacht haben, ist eine solche persönliche Begleitung durch eine Vertrauensperson eine wichtige Hilfe, damit der Flüchtling als Mensch unter Menschen wieder ankommen kann.
Pfarrer Martin Raiser, Weikersheim