Überzeugung zeigen und auch leben

Katholisches Gemeindezentrum: Vortrag mit Pater Eberhard von Gemmingen über Papst Franziskus un die Kirchenkrise als Chance

„Kann Papst Franziskus die Kirchenkrise zu einer Kirchenchance wenden?”, so lautete der Titel eines sehr interessanten und informativen Vortrages des Jesuitenpaters Eberhard von Gemmingen. (Foto: Peter D. Wagner)

In einem Vortrag von Pater Eberhard von Gemmingen wurde das Spannungsfeld „Kirchenkrise - Kirchenchance” unter die Lupe genommen.

Bad Mergentheim. „Kann Papst Franziskus die Kirchenkrise zu einer Kirchenchance wenden?” lautete der Titel des interessanten und informativen Vortrages des Jesuitenpaters Eberhard von Gemmingen am Dienstagabend im sehr gut besuchten Johannessaal des katholischen Gemeindezentrums in Bad Mergentheim.

Pater Eberhard Freiherr von Gemmingen-Hornberg erhielt 1968 seine Priesterweihe durch Kardinal Döpfner in München. Von 1982 bis 2009 war er Leiter der deutschsprachigen Redaktion von Radio Vatikan und als solcher ein exzellenter Kenner des Vatikans, der als Papstbegleiter auf allen Reisen des jeweiligen Papstes eng am Geschehen war. In vielen Veröffentlichungen und in Büchern versucht er, den Menschen Glauben näher zu bringen und zum Nachdenken zu animieren.

„Woher kommt die Krise, worin besteht sie?”, „Was will und kann Papst Franziskus?” sowie „Was müsste geschehen?” waren jeweilige Kernfragen der insgesamt drei Vortragsteile. Die beiden Autoren zweier namhafter Bücher, die kurz vor der Wahl von Papst Franziskus erschienen seien, hätten sich in ihrer negativen Beurteilung über die Kirche nur auf die Lage in Mitteleuropa bezogen. Religionen - auch christlicher Glaube und die katholische Kirche - stünden jedoch weltweit anderswo viel besser da, so Gemmingen eingangs.

Beim Sprechen über eine daher offensichtlich vor allem mitteleuropäischen Kirchenkrise müsse man seiner Auffassung nach konstatieren, dass es vier Krisen gebe: Kirchenkrise, Glaubenskrise, Bildungskrise und Kulturkrise. Die evangelischen, anglikanischen oder orthodoxen Kirchen hätten eine gleiche oder ähnliche Krise, obwohl die meisten von ihnen keinen Zölibat, dogmatische Starre und ethischen Rigorismus sowie viele von ihnen auch Frauenordination haben. „Es geht ihn trotz größerer Liberalität nicht besser als der katholischen Kirche geht”, resümierte Pater Eberhard als Beleg dafür, dass es insbesondere auch eine Glaubenskrise gebe.

Da es vielen Menschen wirtschaftlich gut gehe und man tiefergehende Fragen weitgehend betäuben könne, dringe die Frage nach Gott nur selten an die Oberfläche. „Es fehlen die Herausforderungen, um nach Gott zu fragen, sich mit Gott auseinander zu setzen”, erklärte der Jesuitenpater. „Wir Menschen von der Kirche sprechen auch oft nicht die richtige Sprache, finden nicht den richtigen Umgangston mit den Menschen von heute”, räumte er zudem selbstkritisch als einen der möglichen Gründe dafür ein, weshalb viele moderne und vor allem jüngere Menschen den Gottesdiensten fern blieben. Zudem müsse man sich mit einer zwar wenig bemerkten, jedoch tiefen Bildungskrise auseinandersetzen. „Viele Getaufte wissen sehr wenig über Jesus von Nazareth, sein Leben, seine Lehre”, hob er hervor.

Verkündigung leben
„Leider meinen viele Christen, dass die Krise ist in Rom gemacht ist und sie daher auch von Rom behoben werden muss. Ich meine, dass dies viel zu kurz gegriffen ist”, meinte Pater Eberhard zur Frage, ob Franziskus die Kirchenkrise in Mitteleuropa wenden könne. „Nur das Leben und Handeln gemäß Jesus überzeugt. Nur wenn wir leben, was wir verkündigen, haben wir eine Chance, die Menschen zu gewinnen, denn Glaube kann nur überspringen, wenn die Verkünder überzeugend sind”, interpretierte von Gemmingen den derzeitigen Papst sowie dessen Auftreten, Wohnen und Reisen. Dabei gehe es Franziskus nicht nur um Umwelt und soziale Gerechtigkeit, sondern um ein neues Denken, das rein technisch-ökonomische Denkweisen übersteige.

Zwar mögen theologische oder moraltheologische Änderungen ebenso nötig sein wie strukturelle Änderungen, etwa die Einführung von Frauenordination, Abschaffung des Pflichtzölibats und Dezentralisierung der Weltkirche, jedoch würden sie alle den Menschen nicht gewinnen, wenn die Verantwortlichen in der Kirche nicht sichtbar lebten, was sie verkündigten. Die Kirche werde nur überzeugen, wenn sie den ganzen Jesus zeige und lebe. „Der Mensch kommt nur aus dem Chaos, wenn er sich umfassend als Mensch versteht und nicht nur als gute Maschine”, betonte von Gemmingen.

Der glaubende Christ möge ebenso wie Strukturänderungen außerdem zu Recht auch theologische und moraltheologische Änderungen wünschen, allerdings würden diese nur nützen, wenn die Überzeugungskraft und das Zeugnis des Glaubenden stimmten. Christentum sei keine Morallehre, sondern ein persönliches Verhältnis des Einzelnen zu Christus. „Automatisch wie in vielen früheren Jahrhunderten hindurch, als der Glaube in Europa von Generation zu Generation weitergegeben wurde, geht nichts mehr”, zeigte sich der Pater überzeugt. "Früher war auch nicht alles besser, sondern einfach anders, denn vieles war Tradition, Routine und auch Zwang", gab er ergänzend zu bedenken, um mögliche Irrtümer aufzudecken.

Keine „Privatsache”
Zu potenziellen Fehleinschätzungen zähle unter anderem auch, dass Religion „Privatsache” sei. „Wenn Menschen gemeinsam einen Glauben leben, schaffen sie Lebensordnungen, Gesellschaftsformen, und Kulturen, denn Religionen sind wesentliche Quellen von Kulturen und eine Sache der Zivilgesellschaft.” Zudem verbinde eine sichtbare Anbetung Gottes die Glaubenden, baue Brücken und verhindere Angst vor fremden Religionen. „Muslime, die wirklich gläubig sind, werden sich bei uns wohler fühlen und sich besser integrieren, wenn sie merken, dass nicht alle Atheisten sind, sondern ebenfalls an Gott glauben”, nannte von Gemmingen als spezielles Beispiel.

Franziskus lehre, dass Jesus in kein theologisches System passe und kein Moralist sei. „Vielleicht ist Papst Franziskus der heutige Aussteiger aus vielem Gewohnten. Wir müssen ihm nur in unserem Leben und Denken folgen”, so ein weiteres wesentliches Fazit des Paters. „Wir müssen nicht immer darauf warten, wie Päpste entscheiden. Viele Entscheidungen sollten nicht in Rom, sondern rund um den Globus durch Menschen, die den Glauben leben, sowie durch Theologen und Kirchenleiter vorab bedacht, diskutiert und gelebt werden. Viele Impulse können zudem von den Ortskirchen ausgehen”, lautete ein Resümee des Jesuitenpaters Eberhard von Gemmingen, bevor die zahlreichen Besucher die Gelegenheit zu Fragen und Diskussionen hatten.

Peter D. Wagner, Fränkische Nachrichten, 11.11.2016, www.fnweb.de